Organisatoren und Referenten im Herrenhaus Sickte
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Menschliche Erfahrungen mit Suchtkranken
Referat von Detlef Wolfgang Scholz,
anlässlich der Aktionswoche Alkohol,
am 13. Juni 2009 in Sickte
Menschliche Erfahrungen mit Alkoholkranken können sehr unterschiedlich sein, erschreckend, zerstörend, tragisch.
Es gibt aber auch viele positive Erfahrungen, vor allem dann, wenn es ein Alkoholkranker geschafft hat, wieder aus dem Teufelskreis herauszukommen.
Wenn er Menschen gefunden hat, die an seiner Seite stehen, ihn begleiten, ihn aus dem Tief heraushelfen und bei Rückschlägen nicht gleich fallenlassen.
Es gibt meiner Meinung nach nichts schlimmeres, als anzusehen, wie ein geliebter Mensch, ein Partner, ein Kind oder ein geschätzter Arbeitskollege langsam in die Sucht abrutscht und in ein tiefes Loch fällt.
In dem Wort Sucht, versteckt sich für mich das Wort „Suchen“. Die Suchtkrankheit ist das Ergebnis erfolglosen Suchens.
Viele Menschen werden krank, wenn sie auf der Suche nach Glück, Verständnis, Liebe und Anerkennung sind und diese nicht finden.
In meinem Kurzreferat möchte ich mich nicht mit den medizinischen Aspekten der Alkoholkrankheit auseinandersetzen, sondern möchte an einigen Beispielen mehr die menschliche Dramatik, die sich dahinter versteckt, beleuchten.
Erfahrungen, die ich in der Arbeit mit Suchtkranken, speziell Alkoholkranken und Drogensüchtigen vor 40 Jahren in Berlin gemacht habe, haben bis zum heutigen Tag nicht an Aktualität verloren, im Gegenteil, das Komasaufen bei Kindern und Jugendlichen hat dramatisch zugenommen und somit stehen sie am Anfang einer möglichen Suchtkarriere.
Grundsätzlich ist zu bemerken, dass alle, die mit Alkoholkranken, ob hauptberuflich oder ehrenamtlich arbeiten, diese Arbeit nur erfolgreich leisten können, wenn sie völlig vorurteilsfrei daran gehen.
Massive Rückschläge, wie Rückfälle nach erfolgreicher Therapie, die bei Drogensüchtigen höher sind, als bei Alkoholkranken, dürfen die Helfer nicht aus der Bahn werfen, sondern sie müssen sich immer wieder sagen, wenn es nur 10 % Erfolgsquote gibt, dann hat sich der Einsatz gelohnt.
Immer wieder hört man die Leute sagen, Alkoholiker kommen aus einfachen Verhältnissen, aus der Unterschicht, dem muss ich vehement widersprechen.
Als damaliger Teamleiter der ersten Tag- Nachtklinik für Alkoholkranke in Berlin, habe ich gerade viele Patienten aus der gehobenen Schicht kennengelernt, wie Pastorenfrauen, studierte Leute, Computerfachleute, Ärzte, oder Menschen aus anderen verantwortlichen Berufen.
In der Gruppentherapie kamen viele menschliche Probleme zu Tage, die man oftmals nicht vermutet hätte. Ich möchte Ihnen in fünf Fallbeispielen die Defizite in den Einzelschicksalen erläutern.
1. Beispiel:
Da war eine 35 jährige Pastorenfrau, keine Kinder, die in der Kirchengemeinde ihres Mannes von den Gemeindemitgliedern nicht akzeptiert und völlig isoliert wurde. Alle ihre Versuche, Kontakt zu Frauen der Gemeinde zu bekommen, scheiterten.
Ihr Wunsch, auch wieder in ihrem Beruf zu arbeiten, wurde von ihrem Mann ignoriert und ständig unterbunden.
Die Folge war, Isolation, Gefühle der Einsamkeit und Depressionen. Damit begann der Teufelskreis der Sucht.
Die Frau des Pastors ging jeden Morgen, nachdem ihr Mann aus dem Haus war, in den nahegelegenen Supermarkt und kaufte sich eine Flasche Korn, die sie im Laufe des Tages in ihrer Wohnung leer machte. Das Abrutschen in den Alkoholismus, war nur noch eine Frage der Zeit. Darüber hinaus nahm sie noch Tabletten gegen Depressionen. Der Sensibilität ihres Hausarztes war es letztlich zu verdanken, das sie schließlich eine erfolgreiche Therapie gemacht hat.
2. Beispiel:
Ein junger, 28 jähriger hochqualifizierter Computerfachmann, kam zu seiner Alkoholsucht, weil es in seiner Firma üblich war, mit allen nach erfolgreichen Geschäftsabschlüssen in großen Mengen Sekt zu trinken.
Er selber hatte sich in seinem bisherigen Leben nichts aus Alkohol gemacht, außer ab und an ein Glas Wein in Gesellschaft. Eigentlich mied er Alkohol.
Anfangs versuchte er diese Linie in seiner Firma durchzuhalten, aber dann kam der Tag, an dem sich seine Kollegen über seine Zurückhaltung lustig machten, ihn ständig deswegen mobbten und ihn schließlich völlig isolierten.
Auf Dauer konnte er es nicht ertragen, nicht mehr dazuzugehören, er trank nun regelmäßig mit und erlebte, dass er dadurch wieder von seinen Kollegen akzeptiert wurde.
Die Firma blühte auf und die Erfolgstrinkrunden häuften sich. Relativ schnell war bei ihm die Schwelle zur Alkoholkrankheit überschritten. Es war ein Bilderbuchabstieg, wie wir ihn durch die Jellinek´schen Phasen kennen.
Nachdem seine Leistungsfähigkeit zwangsläufig rapide nachgelassen hatte, ließen ihn seine Kollegen fallen, er wurde aus der Firma herausgedrängt und gekündigt.
Letztendlich war die Kündigung die Wende in seiner Alkoholikerlaufbahn, so dass er auf Anraten eines guten Freundes, einen freiwilligen Entzug machte und auf diese Art zur Langzeittherapie in unsere Tag- Nachtklinik kam.
Nach erfolgreicher Therapie gelang es, ihn wieder beruflich einzugliedern.
3. Beispiel:
Ein ausgezeichneter und über die Grenzen hinaus bekannter, 52 jähriger Chirurg kam in unsere Klinik, nachdem sein OP Team mitbekommen hatte, dass er vor jeder OP Cognac trank, damit seine Hände ruhig wurden.
Glücklicherweise hatte er bis zur Entdeckung seiner Alkoholkrankheit keinen Schaden angerichtet und darüber hinaus das Glück, dass die Klinik eines kirchlichen Trägers, ihn nach einem erfolgreichen Entzug und einer Langzeittherapie wieder eingestellt hat.
4. Beispiel:
Ein 42 jähriger Fernfahrer, der unter permanentem Stress durch seinen Arbeitgeber stand, entwickelte sich zu einem Spiegeltrinker, dass heißt er konnte nur noch fahren, wenn er einen Mindestalkoholspiegel im Blut hatte, der sich im Laufe der Zeit natürlich gesteigert hat.
Er hatte nicht den Mut, mit seinem Chef über seine Belastung zu sprechen, weil er Angst hatte und es sich nicht erlauben konnte, seinen Job zu verlieren, schließlich hing seine Familie mit fünf Kindern daran.
Auch er hatte Glück, dass er bisher keinen Unfall verursacht hatte, aber schließlich bei einer Verkehrskontrolle auffiel und auf diese Art zu einer erfolgreichen Therapie kam. Er hatte seinen Fernfahrerberuf zwar verloren, konnte aber nach einer Umschulung wieder in einem anderen Beruf eingegliedert werden.
5. Beispiel:
Ein für mich und auch für andere Patienten sehr markantes Beispiel, war ein
55 jähriger Alkoholkranker, der nach einer erfolgreichen Langzeittherapie fünfzehn Jahre trocken war und unvorsichtigerweise glaubte, eine Cognacbohne könne ihm nun nicht mehr schaden.
Aber diese eine Cognacbohne löste eine Initialzündung aus, er war in kürzester Zeit erneut voll abhängig.
Ein neuer Teufelskreis begann, weil er es nicht verstanden hatte, dass ein trockener Alkoholiker sein Leben lang alkoholkrank bleibt und nie wieder einen Tropfen anrühren darf. Er hat es glücklicherweise geschafft, in einem zweiten Anlauf wieder trocken zu werden.
Anhand dieser fünf Beispiele, die in diesem Fall alle gut ausgegangen sind, ist zu erkennen, wie breit und verschieden die Ursachen für eine Alkoholkrankheit sein können. Auslöser sind aber oft auch negative Einflüsse von anderen Menschen, Probleme, Ängste und Unsicherheiten.
Alle diese Alkoholkranken, die ich Ihnen eben beschrieben habe, waren weder verachtenswert oder von niedrigem Niveau, sondern verzweifelte Menschen, die mit ihrem Leben nicht mehr fertig geworden sind und ohne verständnisvolle Hilfe völlig verloren gewesen wären.
Bei der Alkoholkrankheit, ist der körperliche Entzug nur der geringste Teil der Therapie, eine Langzeittherapie ist immer angezeigt und sollte möglichst Familienangehörige mit einbeziehen.
Unsere Patienten wurden damals schon während des Klinikaufenthaltes in Antialkoholikergruppen, wie Anonyme Alkoholiker, Kreuzbund und Guttempler geschickt und motiviert, nach Abschluss der Therapie, diese weiter zu besuchen.
Wichtig dabei waren besonders Gruppen, die Familienangehörige mit einbeziehen. Die beständige Teilnahme an solchen Gruppen kann für Betroffene ein wirksames Mittel auf dem Weg zu einer dauerhaften Trockenheit sein.
Alkoholkranke müssen begreifen lernen, dass andere um sie herum gepflegt trinken können, ohne krank zu werden, dass für sie selbst aber Alkohol für alle Zeiten ein totales Tabu bedeutet.
Für den Alkoholkranken werden jegliche Chancen auf ein normales Leben verspielt, wenn das einfühlsame Verständnis der Mitmenschen und die Erkenntnis der Betroffenen fehlt, dass es für die Alkoholkrankheit ein Leben lang keine Heilung gibt, sondern nur ein trocken sein.
Deshalb ist es so wichtig, dass wir nicht wegsehen, wenn einer auf dem Weg in den Abgrund ist, sondern ihm Hilfestellung geben und ihm ein Seil zuwerfen, an dem er sich mit eigener Kraft wieder hochziehen kann.
Nur so ist es möglich, eine menschliche Dramatik von den Betroffenen, ihren Partnern und Kindern fernzuhalten und ein Abgleiten in die spätere Demenz und in einen totalen Verfall der Persönlichkeit zu vermeiden.
Im März 1973 habe ich Verse für Suchtkranke und deren Helfer geschrieben, die meiner beruflichen Erfahrung entsprachen und mit denen ich mein Referat beenden will:
Führe den Kampf
Führe den Kampf gegen Misstrauen und Hass,
öffne Dein Herz für des Anderen Not,
bewahre den Freund vor dem Suchtkrankentod.
Du hast gespürt am eigenen Leib,
was es heißt, Alkoholabhängigkeit.
Lenke Dein Schicksal in andere Bahn,
durch Liebe und Mut und nicht in den Wahn.
Führe den Kampf gegen Misstrauen und Hass,
öffne Dein Herz für des Anderen Not,
bewahre den Freund vor dem Suchtkrankentod.
Bist Du erst vom Alkohol besiegt,
von anderen verstoßen und ungeliebt,
dein Leben nur noch Angst und Pein,
kann die Lösung nur weg vom Alkohol sein.
Führe den Kampf gegen Misstrauen und Hass,
öffne Dein Herz für des Anderen Not,
bewahre den Freund vor dem Suchtkrankentod.
Drum fange ein neues Leben an,
ohne Sucht, auf ebener Bahn
und hast Du Deine Sinne erst einmal klar,
merkst Du, dass Dein Kampf nicht vergebens war.
Führe den Kampf gegen Misstrauen und Hass,
öffne Dein Herz für des Anderen Not,
bewahre den Freund vor dem Suchtkrankentod.
Den Alkoholkranken möchte ich zurufen, schämen Sie sich nicht, stehen Sie zu Ihrer Krankheit, gehen Sie ehrlich damit um und nehmen Sie angebotene Hilfe an.
Nur so besteht für Sie die Chance, aus dem Teufelskreis der Alkoholsucht herauszukommen.
Den Anderen, die in der glücklichen Lage sind, nicht alkoholabhängig zu sein, möchte ich sagen, bringen Sie den Betroffenen mehr Verständnis entgegen und seien Sie ihnen Helfer, in dem schweren Kampf, den Alkoholkranke führen müssen.
Ein Motto dieser Aktionswoche Alkohol könnte und sollte sein:
VERSTÄNDNIS HILFT!
Ich bin Alkoholiker, wohne in niedersachsen.
AntwortenLöschenwürde gerne eine umschulung machen, bin aber schon 42 und weiss nicht wie ich dies anpacken soll.
kann mich da jemanden helfen.
grüsse H
Lieber anonymer H.,
AntwortenLöschenwenn Du Hilfe brauchst, und in Niedersachsen wohnst, dann wende dich vertrauensvoll an das Selbsthilfezentrum Lichtblick e.v. in Schöningen. Die Kontaktadresse findest Du rechts in dem Link auf diesem Blog.
Dein Ruf nach Hilfe ist der erste gute Schritt, aber es kann nur gelingen, wenn alles von Dir ausgeht.
Viel Glück und Stärke wünscht Dir
Wolfgang
Hallo, bin 26 und alkoholkrank... Ihre hompage finde ich sehr nett und es sind tolle gedichte dabei!!! Komme aus bayern und habe in wilhelmsheim meine therapie gemacht, wohne seitdem hier in der gegend! wollte Sie fragen ob man unangemeldet mittwochs zur gruppe gehen kann oder soll ich vorher anrufen? hatte bis jetzt leider nicht den mut mich einer shg anzuschließen, doch schon lange im kopf... danke schon mal im voraus!!!
AntwortenLöschenLieber Anonym,
AntwortenLöschenich finde es gut, dass Sie diesen Schritt tun und sich nach einer erfolgreichen Therapie einer Gruppe anschließen wollen.
Wenden Sie sich an die Selbsthilfegruppe Backnang. Nähere Information unter folgenden Link::
http://www.gottiswelt.de/selbsthilfegruppe_aktivitaeten.htm
Ich bin gerne bereit, sofern gewünscht, Kontakt zur Gruppenleitung herzustellen. Wenn das so ist, bitte eine Mail an: df.sz@t-online.de.
Viel Kraft und Mut wünscht Ihnen
Detlef Wolfgang Scholz